Von Dr. Nora Gottbrath
Die vielbeschworene Digitalisierung in Deutschland zeigt eine Menge Facetten, die von smarten Ideen über Zukunftsoptimismus bis hin zu Kuriosa der Marke „Online-Formulare bitte in den Briefkasten einwerfen“ reichen. Die aktuelle Lage erfordert, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Da stellt sich zunächst die Frage: Was geht digital eigentlich, und wo kann – und muss – man nun neue Wege beschreiten? Die Antwort darauf hat auch das Mentoring-Programm „Traumberuf Professorin“ für sich gefunden.
Dass das Herzstück des Programms, die Mentoring-Beziehung zwischen HAW-ProfessorIn und Mentee, natürlich auch telefonisch und per Mail gepflegt werden kann, versteht sich von selbst. Wenngleich persönliche Treffen ihren unbestreitbaren Charme haben, machten ein zeitlich eng getakteter Alltag, volle Terminkalender und erwünschte Zeitersparnis diese Art der Kommunikation auch vor COVID-19 teils notwendig. Ortsunabhängiges Mentoring ist also kein Problem. Wie aber verhält es sich mit dem Austausch in größerer Runde?
Neues Konzept: TP Talk
Wenn es nicht persönlich geht, dann eben online: TP Talk ist der Name des neuen Formats für den Austausch unter den ProjektteilnehmerInnen. Die ersten digitalen Meetings haben bereits stattgefunden und sollen zur Routine werden, zumal Teilnehmerinnen aus sämtlichen Mentoring-Runden dabei sein möchten. Kernthemen der ersten TP Talks sind sinnigerweise die Online-Lehre und der Erfahrungsaustausch zu Meetings und Konferenzen im Digitalen. Künftig werden insbesondere diejenigen, die bereits berufene Professorinnen sind, von ihren Erfahrungen mit der Online-Lehre berichten, und Online-Meeting-Tools werden in ihren Funktionsweisen demonstriert. Ein Zeitpunkt am späteren Nachmittag stellt sicher, dass möglichst viele trotz beruflicher Verpflichtungen dabei sein können, und das am besten mehrfach im Monat, so groß ist das Interesse.
Die Praxis zeigt: Digitaler Austausch in größerer Runde gewinnt sehr, wenn ihn ein paar Regeln strukturieren. Beispielsweise ist es ratsam, dass nur die Person das Mikro anstellt, die gerade spricht. Die TP Talks kommen so ohne Hintergrundgeräusche aus, und alle können sich auf die eigentlichen Inhalte konzentrieren. Insbesondere als Mutter eines Babys mit Mitteilungsbedarf und als Mitbewohnerin zweier Hunde, die sich bisweilen zu Wort bzw. zu Wuff melden, kann ich nur zum abgeschalteten Mikrofon raten, sofern man nicht für besondere Toneffekte verantwortlich sein will. Wenn die Anzahl der GesprächsteilnehmerInnen die Fünf knackt, ist es potenziell sinnvoll, ein Zeichen zu vereinbaren, mit dem man bei Redebedarf auf sich aufmerksam macht, um zu vermeiden, dass durcheinandergesprochen wird. Eine Agenda sorgt – wie auch bei persönlichen Gesprächsrunden – für Struktur und konzentrierteren Austausch. Im Grunde also geht es online ebenso um Gesprächskultur, wie sie auch sonst selbstverständlich sein sollte: Fokussiert, rücksichtsvoll und bei der Sache. Die nächsten TP Talks können also kommen!
Und sonst so? Digital Knowledge Sharing bei „Traumberuf Professorin“
Einen nützlichen webbasierten Pool zum Wissenstransfer bietet auch das Traumprof-Portal für die aktuellen wie ehemaligen Teilnehmerinnen des Mentorings, da hier eigens eine erweiterbare Materialsammlung eingerichtet wurde, die sich dem digitalen Lehren und Lernen widmet. Wo „Digitales Kommunizieren und Lehren“ darübersteht, ist auch genau das drin: Eine Wissenssammlung mit übersichtlich aufbereiteten Infos, Praxistipps für die Online-Lehrveranstaltung, eine tabellarische Übersicht der gängigen Tools – der theoretische Grundstein für gelingende Online-Lehre ist damit gelegt. So können die Teilnehmerinnen auch außerhalb des TP Talks und zeitunabhängig das Wissen der anderen nutzen oder diese von ihren eigenen Tipps und Erfahrungen profitieren lassen.
Digitale Hochschule?
Zugegeben – für einige Hochschulen und Fernuniversitäten ist das Thema der webbasierten Lehre beileibe nichts Neues, sind doch einige Lehrkonzepte gänzlich auf Fernlehre ausgelegt. Zu meiner Studienzeit allerdings war ein Kurswahlprogramm, das die Studierenden sinnvoll auf Lehrveranstaltungen verteilen sollte, das absolute Maximum an Digitalisierung im Unialltag. Da interessiert es natürlich, ob die Dinge heute anders laufen.
Digitale Lehre ist aller Wahrscheinlichkeit nach etwas, das von der Mehrheit der Studierenden sehr begrüßt würde. Professorin Sissi Closs von der Hochschule Karlsruhe berichtet, dass sich ihre Studentinnen und Studenten derzeit hochmotiviert zeigen und dass sie auch die frühe Stunde mancher Lehrveranstaltung nicht davon abhält, pünktlich am Rechner zu sitzen und eifrig mitzuarbeiten. Ein Indiz dafür, dass digitale Lehre dem Zeitgeist entspricht. Übungsaufgaben für das Selbststudium, deren Bewertung in die Endnote einfließt, sorgen für konstante Motivation.
Corona hat es notwendig gemacht, sich auch im Hochschulalltag mehr oder minder plötzlich ein gutes Stück abseits der nach wie vor gewohnten Präsenzkultur zu bewegen und mit Online-Lehre neue Wege zu beschreiten. Ideal wäre, wenn manches davon auch nach der Corona-Krise erhalten bliebe, auch wenn persönliche Treffen grundsätzlich natürlich nicht zu ersetzen sind, wie man von einigen HAW-Profs hört. Insbesondere in Studiengängen, in denen die praktische Anwendung des Gelernten im Vordergrund steht, könnten digitale Modelle auch in Zukunft die praktische und besonders effiziente Art der Vertiefung sein.
Und nach dem Web-Seminar?
Das Sozialleben köchelt derzeit bekanntlich bei der Mehrheit vernünftigerweise auf Sparflamme. Dass soziale Distanz aber nicht unbedingt Vereinsamung bedeuten muss, ist umso erfreulicher. Wenngleich soziale Medien stets gern – und gewiss nicht immer zu Unrecht – für ihre Oberflächlichkeit und die Überbetonung von Äußerlichkeiten kritisiert werden, erfüllen sie meines Erachtens derzeit auch höhere Zwecke. So können sie im Privaten beim Überbrücken der Distanz helfen, da sie es ermöglichen, tagesaktuell ein wenig am Leben von Freunden und Familie teilzuhaben. Schön ist es auch, die Hilfsbereitschaft zu sehen, die sich bspw. in Facebook-Gruppen zur Nachbarschaftshilfe zeigt. Und nicht zu vergessen: YouTube und Co. können helfen, neue Hobbys zu finden, die man dank Videotutorials für sich entdecken kann. Meine alte Liebe zum Stricken ist dank inspirierender Bilder auf Instagram wieder aufgeflammt. Wenn man sich also an etwas Neuem versuchen will, dann hat man dazu jetzt möglicherweise mehr Muße und Gelegenheit als sonst, da andere gesellschaftliche Verpflichtungen ja rar sind. Wenn schon häusliche Isolation, dann doch bitte kreativ!